Das Problem mit den Robotaxis
Mit einem Modell aus dem Hause VW sollen autonome Taxis in ein paar Jahren auch deutschen Straßen fahren. Was nach schöner Zukunft klingt, birgt auch das Potenzial für Überwachung.
Blickt man auf Ideen, die uns Tech-CEOs in den vergangenen Jahren schmackhaft machen wollten, sind viele weit entfernt von dem, was man sich eigentlich unter einer Sci-Fi-Zukunftswelt vorstellt: Warum man etwa sein Leben in ein Metaverse verlegen sollte, in dem man als schlecht animierter Avatar ohne Beine Meetings abhalten kann, hat sich außer Mark Zuckerberg und ein paar Fanboys kaum jemandem erschlossen. Auch die Idee, dass jeder sich danach sehnt, mit einer 4000 Euro teueren Taucherbrille namens Vision Pro durch die Gegend zu laufen, ist wohl vorerst gescheitert. Bereits Ende 2024 hieß es, dass Apple die Produktion zum Jahresende einstellen würde, um es 2026 mit einem günstigeren Modell noch einmal zu versuchen.
Bei aller Schadenfreude über verirrte Tech-Zukunftsfantasien gibt es allerdings eine Idee, deren Faszination sich wohl kaum jemand entziehen kann: das autonome Fahren. Auch in Deutschland: Erst gestern hat die VW-Tochter Moia ein Fahrzeug mit dem Namen “ID. Buzz AD” vorgestellt, das ab etwa 2027 im großen Stil auf deutschen Straßen fahren soll (wie immer sollte man mit derlei Jahreszahl-Prognosen seeehr vorsichtig sein). Laut Moia will man damit natürlich in erster Linie die Welt verbessern:
Auch gesellschaftliche Herausforderungen will Moia mit der neuen Lösung adressieren: Fahrermangel, unzureichende Mobilitätsangebote in ländlichen Räumen und die Nachfrage nach flexiblen, von mehreren Nutzerinnen und Nutzern geteilten Transportlösungen sollen durch autonome Shuttles besser bewältigt werden. Sascha Meyer, CEO von Moia, sieht im Zusammenspiel von künstlicher Intelligenz und autonomem Fahren einen zentralen Hebel dafür: "Mobilität ist ein menschliches Grundbedürfnis", und mit seinem Angebot schaffe die VW-Tochter vielen Menschen "Zugang zu flexibler, geteilter, komfortabler und bezahlbarer Mobilität".
Hier könnte man nun natürlich darauf verweisen, dass fair bezahlte Fahrer und Investitionen in die kaputtgesparten ländliche Bus- und Bahnlinien (in die deutlich mehr Leute passen als die vier Fahrgäste im Robotaxi) vielleicht auch eine Lösung wären. Aber trotzdem: Eine Welt, in der keiner mehr mit dem eigenen Verbrenner herumheizt, sondern sich mit einem E-Robotaxi herumchauffieren lässt, vielleicht dank einer Carpool-Software sogar mit fremden Mitfahrern mit ähnlichen Zielen, klingt erstmal erstrebenswert.
Ein Absatz in den Berichten zum Robotaxi von Moia bringt einen allerdings dann wieder auf den einen Aspekt des autonomen Fahrens zurück, der so gar nicht nach schöner Utopie klingt:
Die Sensortechnik des ID. Buzz AD besteht aus 27 Einzelkomponenten. Dazu gehören 13 Kameras, 9 Lidarsysteme und 5 Radarsensoren. Diese Ausstattung soll eine vollständige 360-Grad-Überwachung der Fahrzeugumgebung ermöglichen.
“360-Grad-Überwachung”? Was in der Pressemeldung gar nicht erst problematisiert wird, hätte Konsequenzen für jegliches öffentliches Leben. Denn mit seinen 13 Kameras besteht auch beim ID. Buzz AD die Möglichkeit, ihn umfassende Überwachung einzusetzen, da er permanent und großflächig Daten und Bildmaterial sammelt.
Eine Flotte Robotaxis in der eigenen Wohngegend käme damit dem Aufstellen von hunderten Kameras gleich. Wer bisher darauf achtet, nicht allzu viele Spuren und Fotos im Netz zu hinterlassen oder die Gesichter seiner Kinder vor dem Datenhunger von KI-Konzernen oder deutschen Behörden zu schützen, könnte ihnen ausgeliefert sein, sobald mal ein Robotaxi vorbeifährt. Über das noch fehlende Bewusstsein einer neuen Datensammelwut im öffentlichen Raum habe ich bereits bezüglich der sehr hässlichen Meta-Brillen geschrieben:
“Gibt es im Digitalen bereits ein - wenn auch eher beiläufiges - Bewusstsein des ‘digitalen Überwachungskapitalismus’ und Möglichkeiten zur Verhinderung der Überwachung, nehmen wir die analoge Welt gerne noch als rein und sicher wahr –und fürchten dort eher die Kontrolle durch staatliche Akteure. Allerdings ist das Netz datentechnisch offenbar langsam leergefischt, wodurch die reale Welt für Tech-Unternehmen plötzlich wieder interessant wird. Erfasst von einer Omnipräsenz an Kameras auf Brillen und Autos, wird sie zur Nahrungsquelle.”
Bei den ICE-Protesten in Los Angeles hat sich dieses Bewusstsein möglicherweise erstmals Bahn gebrochen. Auch die dort bereits in Serie verkehrenden Waymo-Robotaxis von Alphabet zeichnen das Geschehen um sie herum auf, die Polizei von Los Angeles hat bereits in einigen Fällen Videomaterial verwendet, das von deren Kameras gefilmt wurde. Wie der techkritische Journalist Brian Merchant bereits aufgeschrieben hat, werden auch Trumps Deportationen bereits in Partnerschaft mit Tech-Konzernen betrieben, etwa mit Palantir, das einen Vertrag mit der US-Einwanderungsbehörde abgeschlossen hat.
Vielleicht ist der Gedanke noch etwas verfrüht: Aber wenn Demonstranten reihenweise Robotaxis anzünden, könnte das nicht nur blinde Zerstörungswut sein, sondern ein Zeichen gegen die Art von Überwachung der Öffentlichkeit durch Konzerne oder Behörden, auf die wir mit den Robotaxis zusteuern – mit dem neuen VW-Modell im Zweifel auch bald in Deutschland.
Bis nächste Woche!
Quentin