KI-Slop auf dem Buchcover: Hauptsache was Buntes
Immer häufiger sparen sich Verlage bei der Covergestaltung die Illustratoren. Im Fall einer neuen Thomas-Mann-Reihe will man das nun sogar als "qualitative Eigenleistung" verstanden wissen.
Will man sich der bösen digitalen Welt entziehen, die Screentime reduzieren und mal wieder richtig was anfassen, greift man zum Buch. Während man zur reinen Informationsbeschaffung natürlich längst nicht mehr auf Gedrucktes angewiesen ist, bleibt es dieser Mechanismus, der die Buchbranche am Leben hält: Mit dem Buch in der Tram sitzen, im Café, zum Einschlafen mit den Kindern oder als Teil der gerade überall aus dem Boden sprießenden Buchclubs. Man will Zeit mit etwas schönem, echten, handgemachten verbringen – und greift dafür zu einem vermeintlich alten Medium. Auch wenn diese Art des Lesens performative Anteile hat, müssten Verlage eigentlich froh sein, dass ihr Produkt bei aller digitalen Konkurrenz nach wie vor als sexy und ästhetisch gilt.
Man würde entsprechend auch denken, dass Verlage in die Hochwertigkeit ihrer gedruckten Bücher investieren, denn genau das ist es ja, was sie von E-Books oder Smartphone-Doomscrolling unterscheidet. Der S. Fischer Verlag irritiert im Thomas-Mann-Jubiläumsjahr allerdings mit einer gegenteiligen Entscheidung, wie ich auf dem (empfehlenswerten!) BR-Literatur-Kanal “Literally” erfahren habe: Auf die neue Taschenbuchauflage ihrer Thomas-Mann-Reihe hat er KI-Cover klatschen lassen, erstellt mit dem Bildgenerator Midjourney.
Regelmäßigen Newsletter-Lesern muss ich wahrscheinlich nicht mehr erklären, dass in diesen Bildgeneratoren die Arbeiten tausender menschlicher Künstlerinnen und Künstler ohne jegliche Kompensation verwurstet wurden, um daraus generischen Slop-Müll erstellen zu können. Ein größeren Gegensatz zur Wertschätzung von menschlicher Kreativität gibt es eigentlich nicht.
Nun gut, könnte man jetzt sagen: Quentin, ist doch egal. Nicht jeder legt Wert darauf, dass Stühle vier Beine haben sollten.
Möglicherweise ist es künstlerische KI-Freiheit, dass das Metronom auf dem Cover von “Doktor Faustus” im Verhältnis zum resonanzkörperlosen Mini-Klavier (???) darunter absolut riesig ist.
Eventuell ist es dann auch nicht so wichtig, was der Mann auf dem neuen Cover von Manns “Zur Verteidigung der Demokratie” in der Hand hält (eine nicht näher definierbare Mischung aus Kamera, Sechskantmutter und Revolver?)
Fair enough: Es kann sein, dass all diese Fehler kaum jemandem auffallen, weil eh schon alles egal ist. Als Verlag im traurigen Spätkapitalismus könnte man hier argumentieren: Sorry, wir haben kein Geld für Illustratoren, Hauptsache irgendwas Buntes auf dem Cover, da muss man doch nicht so penibel sein.
Interessant ist allerdings, dass die von S. Fischer beauftragte Agentur ihre KI-Cover nicht als Verlags-Austerität, sondern als “qualitative Eigenleistung” verstanden wissen will. Auf der Fischer-Website findet sich nämlich ein Interview mit der zuständigen Design-Agentur “Kosmos Design”, die sich laut eigener Aussage “ganzheitliche Designkonzepte mit hohem Anspruch an Inhalt und Form” auf die Fahne generiert äh.. geschrieben hat. Im Interview heißt es:
“Die Bildrecherche hingegen ist oft ein langwieriger und mühsamer Prozess – die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Man verbringt viel Zeit damit, sich durch Bildpools sowie Fotografen- und Illustratoren-Portfolios zu scrollen, ohne die Sicherheit zu haben, ein wirklich passendes Motiv zu finden. Gerade für eine Reihengestaltung ist das eine besondere Herausforderung, insbesondere dann, wenn das Motiv sehr spezifisch sein soll.”
Too long didn’t read klingt das ein bisschen nach: Arbeit nervt. Kreativität muss berechenbar und anstrengungslos sein. Spannende Argumentation für eine Design-Agentur. Lesen wir mal weiter:
“Die Arbeit an einem KI-Bild erfolgt in mehreren Stufen: von der wohlüberlegten Formulierung des Prompts über das Testen und Justieren innerhalb der KI bis hin zur finalen Bildbearbeitung. So entsteht ein gut steuerbares Ergebnis, das sowohl Kreativität als auch handwerkliches Können erfordert. In diesem Prozess steckt viel Eigenleistung – sogar mehr qualitative Eigenleistung als bei einer herkömmlichen Bildrecherche.”
Hier wird es ein bisschen paradox: Hieß es gerade noch, die Akquise von und Zusammenarbeit mit Fotografen und Künstlern sei “langwierig und mühsam”, soll nun plötzlich noch mehr Eigenleistung der Agentur im Cover stecken, weil das “Testen und Justieren” von Prompts wie - sagen wir mal - “random man at Venice canal painting Edward Hopper style” sei ja ein unvorstellbarer Aufwand.
Jedes Interview über KI-Einsatz braucht eine pflichtschuldige “Human in the loop”-Aussage. Die kommt gegen Ende, und klingt nicht weniger KI-generiert als die Cover von Kosmos-Design:
“Eine KI kann diese Nuancen nicht in vollem Umfang leisten. Sie kann den Weg zum Ergebnis effizienter gestalten, aber den kreativen Gestaltungsprozess nicht ersetzen.”
Wie gesagt: Kann man alles machen. Die Zeiten sind hart. Wir müssen ja alle gucken, wo wir Geld sparen können. Warum irgendwer dieses Geld für eine derart lieblose Taschenbuch-Reihe ausgeben sollte, erschließt sich mir allerdings nicht.
Bis nächste Woche!
Quentin
Das ist mir kürzlich bei einem anderen Buch sauer aufgestoßen. Auf dem Cover ein fotorealistisches, sehr generisches KI-Bild eines Weinbergs mit Meer im Hintergrund. WTF? So ein Motiv gibt es vermutlich tausendfach als Stockfoto, warum muss man da eine KI die 1001. Variante erstellen lassen?
Oh man! Danke für den Beitrag und die Aufklärung. Ich wollte tatsächlich Der Zauberberg kaufen. Mich sträubt es jetzt sogar davor, die Hardcover-Ausgabe zu kaufen.